ADHS-ZEBRA
Die Diagnostik von ADHS im Jugendalter stellt eine große Herausforderung dar, da kindliches ADHS retrospektiv rekonstruiert werden muss. 2024 haben wir eine Studie veröffentlicht, in welcher wir erstmalig quantitativ Kriterien der ADHS nach ICD-10/DSM-5 Kriterien im Grundschulzeugnis empirisch ausgewertet haben.
Dabei konnten wir mit dieser Methode eine große Trennschärfe und diagnostische Zuordnung zwischen Zeugnissen von Kindern mit ADHS und gesunden Kontrollen feststellen. Zur Publikation
Wir stellen auf dieser Arbeitsgrundlage den „ADHS-Zeugnis-Beurteilungs-Algorithmus“ ADHS-ZEBRA als Preview vor, welcher Klinikerinnen und Klinikern ein praktisches Tool zur Hand gibt, um Grundschulzeugnisse retrospektiv im Hinblick auf kindliches ADHS auszuwerten und zu beurteilen. Wir möchten den Klinikerinnen und Klinikern ein nützliches Instrument zur Verfügung stellen für ihre tägliche Arbeit mit Adoleszenten mit der Verdachtsdiagnose ADHS.
Durchführung: Der ADHS-ZEBRA enthält zwei Kategorien: Symptome und Kompetenzen. Symptome werden anhand der bekannten Klassifikation der ICD-10/DSM-5 für ADHS (Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität) beschrieben und in klinische sowie subklinische Kriterien unterteilt. Klinische Kriterien zeichnen sich aus durch die eindeutige semantische Beschreibung des klinischen Markers. Subklinische Marker sind in der Regel markiert durch Konjunktionen, Nebensätze, Beschreibungen von Verhaltensfortschritten aber keiner vollen Remission. Die Kompetenzen stellen die andere Seite des Spektrums der Psychopathologie dar und beschreiben kindliche Ressourcen (Aufmerksamkeit, altersangemessenes psychomotorisches Verhalten und altersangemessenes Interaktionsverhalten).
Auswertung: Es werden die Marker für klinische und subklinische Kriterien addiert und durch die Anzahl der ausgewerteten Zeugnisse dividiert, um einen Durchschnittswert zu erhalten. Die Marker für Kompetenzen werden ebenfalls addiert und durch die Anzahl der ausgewerteten Zeugnisse dividiert. Die Differenz zwischen Symptomen und Kompetenzen aber auch jede Kategorie für sich gibt Rückschluss auf das Vorliegen einer kindlichen ADHS.
Arbeitsgruppe „Kognitive Entwicklungsneurobiologie“
Die Arbeitsgruppe „Kognitive Entwicklungsneurobiologie“ der LWL Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik unter Leitung von PD Dr. Robert Waltereit hat es sich zur Aufgabe gemacht, innerhalb eines lebendigen wissenschaftlichen Netzwerkes die klinische Forschung insbesondere in Bezug auf neurobiologische und psychopathologische Entwicklungen mit zu befördern.
ICD-10/DSM-V-Kriterien der ADHS in Grundschulzeugnissen
Obgleich ADHS mittlerweile eine bekannte Diagnose ist, die Einzug gefunden hat in Printmedien und Podcasts, so ist die klinische Diagnostik nach wie vor eine Herausforderung, insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Denn in diesen Fällen muss kindliches ADHS retrospektiv erhoben werden. Das Grundschulzeugnis bietet ein ideales Dokument, welches die Beschreibung kindlichen Arbeits- und Sozialverhaltens über die Zeit konserviert hat.
Hintergrund:
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine klinische Diagnose. Das bedeutet, in der Diagnostik werden keine Blutmarker oder beispielsweise gar Genanalysen genutzt, sondern es wird in Zusammenarbeit mit dem Patienten und den Bezugspersonen aus Erlebnissen, Beobachtungen, Dokumenten und Empfindungen – mit unterschiedlichen Methoden erhoben - eine Diagnose gemacht. Zeugnisse stellen nach S3-Leitlinie eine wertvolle Ressource der Beschreibung des Arbeits- und Sozialverhaltens im schulischen Setting dar. Struktur, Inhalt und Bewertung folgen in allen Bundesländern einer Standardisierung durch die Kultusministerien. Diese Verbalbeurteilungen umfassen die zentralen Aspekte der Symptomatik der ADHS in der kritischen Lebensphase von sechs bis zehn Jahren. Sie sind von besonderer Bedeutung, wenn bei Jugendlichen oder Erwachsenen ein kindliches ADHS retrospektiv nachgewiesen werden muss, um zu einer leitliniengerechten Diagnose eines persistierenden ADHS zu kommen. Bislang werden die Grundschulzeugnisse in der Praxis vom Kliniker individuell nach eigenem Ermessen gesichtet. Es gibt bislang kein Verfahren und auch keine Beschreibung in der wissenschaftlichen Literatur, um die Verbalbeurteilungen systematisch und quantitativ auszuwerten nach ICD-10/DSM-V-Kriterien klinisch auszuwerten. Ein solches Verfahren wäre von relevantem klinischem Interesse.
Zielsetzungen:
Eine quantitative Analyse von ICD-10/DSM-V-Symptomen in Grundschulzeugnissen von Patienten mit ADHS im Vergleich zu gesunden Kontrollen und im differentialdiagnostischen Vergleich.
Eine KI-Analyse (mittels Machine Learning) von ICD-10/DSM-V-Symptomen in Grundschulzeugnissen von Patienten mit ADHS im Vergleich zu gesunden Kontrollen und im differentialdiagnostischen Vergleich.
Kooperation
Die Studie wird in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe „Soziale Interaktion und Entwicklungsneurowisssenschaften“ der Universitätsmedizin Göttingen unter Leitung von Prof. Dr. Martin Schulte-Rüther durchgeführt. Schulte-Rüther Lab - Soziale Interaktion und Entwicklungsneurowissenschaften
Publikationen
Waltereit R, Ehrlich S, Roessner V. First-time diagnosis of ADHD in adults: challenge to retrospectively assess childhood symptoms of ADHD from long-term memory. Eur Child Adolesc Psychiatry. 2023 Aug;32(8):1333-1335. doi: 10.1007/s00787-023-02244-2. Epub 2023 Jun 8. PMID: 37286879; PMCID: PMC10326145.
Projektunterstützung
Eltern können das Projekt unterstützen, indem sie die Zeugnisse ihres Kindes bei der Anmeldung mitbringen. Diese werden eingescannt und vollständig anonymisiert analysiert.
Beobachtungsstudie zur Untersuchung der Affektiven Dysregulation bei ADHS unter Behandlung mit Guanfacin
Einige Kinder und Jugendliche mit ADHS reagieren besonders empfindlich auf unangenehme Ereignisse. Diese Kinder und Jugendlichen leiden häufig sehr unter ihren starken Gefühlsausbrüchen, die sich durch Wut und Ärger ausdrücke, aber auch durch Emotionen wie Angst begleitet werden können. Dies nennt man „Affektive Dysregulation“ (AD), welche bei einigen Kindern mit ADHS erfolgreich mit Gunafcin behandelt werden kann, wenn sie zuvor nicht zufriedenstellend auf Methylphenidat angesprochen haben.
Hintergrund
Die „Affektive Dysregulation“ (AD) hat einen erheblichen Einfluss auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Sie zeichnet sich aus durch häufige und starke Gefühlsausbrüche – die Stimmung ist über einen langen Zeitraum außergewöhnlich beeinträchtig. Die Kinder und Jugendlichen empfinden dabei Wut und Ärger, durchaus auch gemischt mit anderen großen Emotionen wie Angst.
ADHS-Patienten mit einer AD, die nicht hinreichend auf Stimulanzien wie Methylphenidat ansprechen, können von einer Behandlung mit Guanfacin profitieren. Die Empfehlung für das Medikament wird vom behandelnden Arzt in der regulären Behandlung gegeben und die Entscheidung für Guanfacin mit den Eltern in einem Gespräch getroffen.
Guanfacin ist ein Wirkstoff, der im Medikament Intuniv enthalten ist. Intuniv ist für die Behandlung der ADHS-Symptomatik zugelassen für Patienten, die nicht so gut auf Methylphenidat und Stimulanzien reagieren. Ursprünglich wurde der Wirkstoff für die Behandlung von Bluthochdruck zugelassen. Seine Wirkung auf Konzentration, Impulsivität, Hyperaktivität und nun möglicherweise auch die Stimmung, entdeckte man erst später.
Methodik
Wenn der behandelnde Arzt gemeinsam mit den Eltern und dem Kind oder Jugendlichen die Einnahme von Guanfacin initiiert, werden vor der ersten Einnahme und dann nochmal nach zehn Wochen später unter Einnahme Fragebögen ausgeteilt, die zum einen die ADHS-Symptomatik, zum anderen aber auch die Symptome der Affektiven Dysregulation abfragen. Wir möchten damit beobachten, ob das Kind/der Jugendliche oder seine Eltern eine Veränderung im Verhalten bemerken.
Studienteilnahme
Um bei dieser Studie teilnehmen zu können, muss Ihre behandelnde Ärztin oder Ihr behandelnder Arzt Ihr Kind beim Studienteam anmelden.
Weitere Informationen zum Ablauf der Studie gibt es hier.
Eltern erhalten von uns eine umfassende Rückmeldung zur potentiellen Verhaltensänderung ihres Kindes. Für das teilnehmende Kind hält das Forschungsteam eine kleine Überraschung bereit, sobald die Fragebögen zum zweiten Termin erhalten haben.
https://link.springer.com/article/10.1007/s00787-019-01438-x
Adoleszenz und Transition
Die Adoleszenz, also der Lebensabschnitt zwischen Kindsein und Erwachsensein, ist eine Phase der Entwicklung und Veränderung. Von besonderem Interesse für uns ist die psychische Reifung, die uns sozial und emotional in die Erwachsenenwelt hineinwachsen lässt. Veränderungen laufen jedoch nicht immer linear und manchmal benötigen wir in dieser Zeit Unterstützung, um die Herausforderungen zu meistern. Hier entsteht ein ganz neuer Forschungsbereich für Klinik und Praxis am LWL-Klinikum Marsberg.
Publikationen
Waltereit R, Uhlmann A, Ehrlich S, Roessner V. What happened to the concept of adolescence crisis? Eur Child Adolesc Psychiatry. 2020 Dec;29(12):1617-1619. doi: 10.1007/s00787-020-01660-y. PMID: 33037929; PMCID: PMC7641928.
Waltereit R, Uhlmann A, Roessner V. Adolescent psychiatry-from the viewpoint of a child and adolescent psychiatrist. Eur Child Adolesc Psychiatry. 2018 Nov;27(11):1383-1385. doi: 10.1007/s00787-018-1231-z. PMID: 30269164.
Ansprechpartnerin
Dr. rer. medic. Johanna Waltereit
Forschungskoordination
Sonderpädagogin
Tel: 02992 601-3104
